Zu Thomas von Steinaeckers Roman »Die Verteidigung des Paradieses«
Auf einer Alm nahe dem Ort, der einst Berchtesgaden war, leben sechs Menschen und ein paar Tiere. Die Katastrophe, von der man ausgeht, dass es eine globale gewesen sein müsse, ist in Thomas von Steinaeckers Roman »Die Verteidigung des Paradieses« elf Jahre her – Vom »Paradies« auf der Alm aus gesehen, ist man vielleicht der letzte Rest der Menschheit.
Um sich gegen das Vergessen zu stemmen, bekommen die Kühe die Aufgabe, durch ihre Namen an die Menschheitsgeschichte zu erinnern: Sie heißen z. B. Nero, Tizian, Einstein, Hitler, Kafka, Kennedy und Beckenbauer. Zwar tauchen diese Namen im Roman nur an einer Stelle auf, doch sie zeigen den Zustand der Gesellschaft, die der fünfzehnjährige Heinz in den Heften beschreibt, die er vom »Leader« der Gruppe gemeinsam mit einem Bleistift geschenkt bekommen hat. Heinz soll der »Bewahrer« werden und seine seltsame Gabe nutzen, Texte aus der Weltliteratur zu zitieren.
Und Heinz schreibt, ringt dabei zugleich mit einer Sprache, die ebenso beschädigt und zerstört ist, wie die Landschaft. Er freut sich an »Alt-Wörtern«, bedient sich aber sonst eines deutsch-englischen Sprachenirrsals und -wirrsals, so dass man dem Autor unterstellen könnte, er urteile hier über die Zukunft der deutschen Sprache. Ohne großes Zögern wird der Roman so zu einem Künstlerroman und bleibt dies bis zum Ende.
Zur gleichen Zeit – postmoderne Mehrfachkodierung literarischer Werke ist kein Phänomen, das mit Umberto Eco zu Grabe getragen worden wäre – legt von Steinaecker einen dystopischen Roman vor, indem nicht nur die Frage des Klimawandels aufgegriffen, sondern darüber hinaus das Scheitern menschlicher Technik dargestellt wird, obwohl im Deutschland dieses Romans deutsche Ingenieurskunst gerade gegen Ende … vielleicht auch nicht … gefeiert wird.
Weiter fragt der Roman, wie sich Menschen in einer solchen Krisensituation verhalten, und es wird hier nicht zu viel verraten, wenn man die Zombies, denen die kleine Gemeinschaft auf der »Autobahn« begegnen, zum Anlass nimmt, auf die Idee zu kommen, dass von Steinaecker eigentlich einen Roman über unsere Gegenwart schreibt. So ist das nun einmal mit Science Fiction und Fantasy, insofern sie literarischen Ansprüchen genügen: Im Grunde sind es meist Romane über die Gegenwart, in der die Romane entstanden sind.
»Die Verteidigung des Paradieses« ist ein Roman über Entwicklungshilfe, die gnadenlose Ausnutzung menschlicher Arbeitskraft – und über Flüchtlinge. Kann man sagen, es sei ein Roman über »alles«. Nun, zumindest über nahezu alles, was man im Deutschland der Gegenwart antreffen kann und das vor allem durch seine Abwesenheit im Roman »sichtbar« wird.
Von Steinaecker packt den Roman voll mit Verweisen auf andere Werke der Literatur, lässt die Figur Heinz exzessiv zitieren, greift Bilderwelten von Katastrophenfilmen auf und entwirft auf einer weiteren Ebene des Romans eine Reflexion über die Frage, wie Literatur entsteht, was sie kann und wo ihre Grenzen sind.
Dabei bedient sich von Steinaecker einer durchaus wenig abenteuerlichen Erzählweise. Sätze abzubrechen, Tagebuchaufzeichnungen unvollständig zu lassen etc. mögen zwar dem Erzähler entsprechen und somit angemessen nachvollziehbar sein, sind aber doch Teil einer traditionellen Erzählweise, die dem Autor nicht zum Vorwurf gemacht werden soll. – Allerdings, und hier fällt dann auf, wie begrenzt am Mainstream entlang sich die Reminiszenzen bewegen, derer sich der Erzähler bedient, sind die literarischen Bezüge im Roman, die zeigen, wie Menschen erzählen, die in existentiellen Krisen leben, schon eher intellektueller Breitensport. Ob nun die weniger für die Breite taugliche Erzählweise Reinhard Jirgls, die sprachliche Prägnanz einer Elfriede Jelinek oder die Sprache von Randexistenzen, die Hubert Fichte zum Klingen gebracht hat, von Steinaecker lässt diese Ströme deutschsprachiger Literatur unberücksichtigt und findet über die Verliebtheit in Verweise an einigen Stellen keine eigene Sprache, die über das Gewohnte hinauszugehen vermag. Kurz: von Steinaecker erzählt brav, ohne aber die Brutalität der Welt in brutalen Existenznöten zu verschweigen.
An diesen Stellen traut sich von Steinaecker zu wenig. Die verstümmelten Gesichter, derer mehrere im Roman auftauchen, werden allesamt sehr ähnlich beschrieben; barbarische Akte, die aus der Not heraus geboren werden, oft sehr knapp abgehandelt, so dass vor allem gegen Ende des Romans Längen spürbar sind, während die Verwirrung des Leser bis zur letzten Seite wächst und somit schließlich auch noch die Frage nach der Wirklichkeit und deren Konstruktion (nicht nur) durch Politik aufgeworfen wird.
Thomas von Steinaecker hat mir »Die Verteidigung des Paradieses« einen gut lesbaren, anregenden, an einigen Stellen verzeihlich über das Ziel hinausschießenden Roman vorgelegt, der voller skurriler Einfälle ist und vor der Folie des Skurrilen das Absurde, das Undenkbare und doch Erwartbare im menschlichen Leben unter Extrembedinungen sichtbar macht.
Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2016; 416 S., 24,99 €, als E-Book 22,99 €
Beitragsfoto Quelle: Pixabay.com CC0 Public Domain