Bildungsplattformen & Schulbuchverlage am Bsp. lo-net und Antolin

Abstract: Dieser Artikel arbeitet induktiv, das heißt, er geht von einem beobachteten, speziellen Phänomen aus und gelangt von diesem zu allgemeineren Überlegungen, in deren Kontext das Phänomen eingeordnet wird.

Ausgangspunkt ist der Wechsel des Betreibers von lo-net, die allgemeineren Überlegungen stellen dann grundsätzliche Fragen zur Rolle von Schulbüchern und Bildungsmedien in (schulischen) Bildungszusammenhängen.

Daraus ergeben sich Überlegungen über die Zukunft von Bildungsmedien, die im Unterricht eingesetzt werden.

Der aktuelle Anlass: Betreiberwechsel bei lo-net

Am Anfang war lo-net ein Projekt des gemeinnützigen Vereins „Schulen ans Netz e. V“ und  „Lehrer online“. Es wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Telekom gefördert. Dann wurde lo-net zu einer eigenen GmbH und nun gab es erneut einen Betreiberwechsel: Lo-Net gehört nun zum Portfolio des Cornelsen-Verlages, der im Schulbuchmarkt eine gewichtige Rolle spielt.

Laut Mitteilung an die Benutzer auf lo-net, wird für die Nutzer alles gleich bleiben: Staatliche Schulen können lo-net weiter kostenlos nutzen. Ziel der Übernahme sei es, der Plattform eine langfristige Perspektive zu geben. Allerdings ist dabei zu beachten, dass es in den Nutzungsbedingungen heißt, der Dienst bestehe aus kostenlosen Grunddiensten sowie gegebenenfalls aus kostenpflichtigen Zusatzdiensten.

Liest man die Nutzungsbedingungen weiter, so wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass kein rechtlicher Anspruch auf die Zurverfügungstellung bestimmter kostenloser Dienste bestehe, ja, es wird so gar gesagt, dass der Betreiber keine Zusicherung für einen bestimmten Leistungsumfang gebe. Das Recht, die zur Verfügung gestellten kostenlosen Dienste in Art und Umfang zu verändern, behält sich der Betreiber ausdrücklich vor.

Zugegeben, ich weiß nicht, ob hier eine Änderung der Benutzungsbedingungen für lo-net stattgefunden hat, die alten Nutzungsbedingungen habe ich gerade nicht vorliegen, aber es scheint mir, dass die Übernahme von lo-net durch den Cornelsen-Verlag mehr als nur ein Betreiberwechsel ist. Mir ist diese Übernahme Anlass für ein paar grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung digitaler Bildungsmedien in der nahen Zukunft. Doch zunächst als Erläuterung:

Was ist Lo-Net?

Laut Selbstdarstellung ist Lo-Net eine Plattform für Schule und Unterricht, die mittlerweile von über 6500 Schulen in Deutschland genutzt wird. Es heißt zur Zeit auf der Startseite von Lo-Net:

„lo-net² macht den Traum von der virtuellen Schule ((Der Traum der virtuellen Schule? Nein, die Face-to-Face-Situation ist konstitutiv für Unterricht. Vergleiche hierzu diesen Beitrag – Anmerkung von HL)) wahr: Lehrkräfte und Lernende arbeiten in Klassen und Kursen online zusammen, Schulorganisation und Elternarbeit finden im Netz statt. Bereits mehr als 6.500 Schulen nutzen bundesweit die webbasierte Lern- und Arbeitsplattform lo-net², die umfassende und innovative Lösung für Schulen.“ (Quelle)

Dabei ist lo-net, das mag den Reiz für Schulen ausmachen, es zu nutzen, eine in sich geschlossene Infrastruktur, die so ziemlich alle Möglichkeiten anbietet, die im Web heute bekannt sind. In der Selbstdarstellung heißt es:

„Von werbefreien E-Mail-Adressen, Mailinglisten, Dateiablagen, modernen Web 2.0-Tools wie Blogs und Wikis bis hin zu didaktischen Werkzeugen wie dem Lernplan bietet lo-net² alle Funktionen, die vernetztes und kreatives Arbeiten und Lernen in der Schule und von außerschulischen Lernorten aus unterstützen. Verstetigen Sie mit lo-net² den effektiven Einsatz von PCs, Notebooks, interaktiven Whiteboards und digitalen Medien im Unterricht.“

Kurz: Lo-Net versteht sich als eine nahezu alle Bedürfnisse von Schulen in Bezug auf E-Learning-/E-Teaching-Arrangements im Unterricht abdeckende Plattform, die nur berechtigten Nutzern (Schulen, Lehrern und über sie angemeldeten Lerngruppen) zur Verfügung steht und somit einen geschützten Raum für die Arbeit mit digitalen Vernetzungswerkzeugen bietet.

Auf Lehrer-Online findet sich folgende Beschreibung der Einsatzmöglichkeiten von Lo-Net:

„Die Spannweite der Einsatzmöglichkeiten von lo-net² reicht von Sekretariatsaufgaben der Schulorganisation bis hin zur eigentlichen pädagogischen Arbeit in virtuellen Klassenräumen und führt alle an Schule beteiligten Personen über das Internet zusammen.“ (Quelle – Mehr auf der verlinkten Seite)

Potentiell handelt es sich bei Lo-Net also um eine sehr umfassende, damit aber potentiell auch datenintensive, Plattform, in der Daten aller an Schule beteiligten Personen anfallen. Doch dazu später mehr.

Eigene Erfahrungen mit Lo-Net

Lo-Net war in aller Munde. Ich kam gar nicht umhin, mir einen Account freischalten zu lassen. Es gibt Schulen, in denen ist Lo-Net das Instrument, wenn es um digitalen Medieneinsatz im Unterricht geht. Die Idee fand ich spannend und dann war das ganze auch noch von einem gemeinnützigen Verein ins Leben gerufen worden. Ja, das galt es natürlich zu unterstützen.

Aber: Ich habe Lo-Net im Unterricht nicht genutzt. Selbst mir, der ich mit digitalen Arbeitsinstrumenten nicht unerfahren bin, war die Benutzung zu kompliziert, zu wenig intuitiv. Es ist mir nicht gelungen, bei meinen Tests der Plattform einen Workflow zu entwickeln, der dem Flow-Effekt nahe kommt, den ich sonst im Umgang mit digitalen Instrumenten kenne.

Sicher: Ein Vorteil von Lo-Net ist, dass hier eine Plattform zur Verfügung steht, in die alle mit ihr arbeitenden Personen nur einmal eingeführt werden müssen. Wenn also Schulen als Ganzes auf diese Plattform setzen, wirkt dies der Zersplitterung entgegen, die eintritt, wenn ein Lehrer mit Moodle arbeitet, ein anderer mit Lo-Net, ein dritter mit noch einer anderen Plattform. Ja, es ist sinnvoll, an einer Schule nur eine E-Learning-Plattform zu haben, wenn man eine solche will. Es ist sinnvoll, wenn die Schülerinnen und Schüler im Physik-Unterricht die gleiche Plattform nutzen können wie im Deutschunterricht oder allen anderen Fächern.

Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2009/10 in Deutschland 34 642 Schulen. Über 6500 von diesen (ca. 20%) nutzen nach der Selbstdarstellung der Website die Plattform lo-net, auch wenn aus den Daten bei lo-net nichts über die Nutzungsintensität an den teilnehmenden Schulen hervorgeht. Doch die Erfahrung lehrt mich, dass es in der Regel eher einige Lehrkräfte sind, die dieses System nutzen und nicht unbedingt ganze Kollegien.

Dennoch: Lo-Net hat den Fuß in der Tür von ca. jeder fünften Schule in Deutschland.

Wenn der Betreiber wechselt – oder: Schule als Wirtschaftsfaktor

Dieser Fuß in der Tür der Schulen hat nun einen neuen Namen bekommen, auch wenn es in den Schulen ein alt bekannter Name ist, da es sich um einen gewichtigen Schulbuchverlag handelt: Cornelsen.

Diesen Schritt halte ich für bemerkenswert, sind die Schulbuchverlage doch bislang mit der Nutzung des Internets zur Unterstützung des konkreten Unterrichts unter Berücksichtigung von Web 2.0-Tools, vorsichtig ausgedrückt, abwartend, zurückhaltend bzw. einfach nicht präsent. Das Kerngeschäft sind Schulbücher – und in diesem Bereich werden sehr beeindruckende Auflagen erzielt.

Entsprechend abhängig sind Schulbuchverlage von den Mitteln, die politisch für Bildung zur Verfügung gestellt werden. Naheliegend, dass entsprechend eher nicht zu erwarten ist, dass sich ein Verlag an Open-Source-Projekten beteiligt.

Verlage sind wirtschaftlich, das sage ich hier ohne jegliche Wertung, von geschlossenen Systemen wie dem Copyright oder proprietären E-Learning-Plattformen abhängig. lo-net war nie ein Open-Source-Projekt, wie man es bei mit öffentlichen Mitteln (Steuergeldern) geförderten Angeboten eigentlich erwarten könnte. Für einen Verlag also die ideale Plattform, um in diesem Bereich Fuß zu fassen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen mir dann auch die Forderungen zum Bildungsgipfel der Bundesregierung am 10. Juni 2010 sehr lesenswert, die sich auf der Website des Cornelsen-Verlags finden. Die Forderungen können kurz gefasst so zusammengefasst werden: Bitte so viel Geld wie möglich in den Bildungssektor, vor allem dort, wo es um die Anschaffung von Bildungsmedien geht.

Unter anderem heißt es dort:

„Mit digitalen Inhalten, die sich für Kernaufgaben des Unterrichts nutzen lassen und auf Lehrplan und Unterrichtssituation zugeschnitten sind, würden viele die Schulstunde medialer gestalten. Effizient werden digitale Lösungen erst mit geeigneten Inhalten und Konzepten, aber die kosten Geld und müssen bezahlt werden.“

Ein verlockendes Argument mit automatisiertem Zustimmungspotential. Doch es ist die Logik eines Wirtschaftsunternehmens, die hier zum Ausdruck kommt. Ich warte z. B. bislang vergeblich darauf, dass es Schulbücher als E-Books gibt, die parallel zu den gedruckten Ausgaben genutzt werden können. – Solche E-Books wären nur ein erster Schritt, da eine 1:1-Abbildung der Schulbücher in digitaler Form weit unter den Möglichkeiten bliebe, die digitale Lernmedien bieten können, aber in der gegenwärtigen Situation erschiene mir ein ein solcher Schritt als erster Schritt als klares Zeichen, wohin es mit Unterrichtsmedien in den nächsten zehn Jahren gehen kann. Oder ist der Mangel an solchen E-Books Ausdruck eines mangelnden Marktes, sprich: Ausdruck der Distanz vieler Lehrender zu solchen Medien und deren Nutzung in Unterrichtskontexten?

Gleichzeitig entdecke ich Portale mit tollen Ansätzen, die aber geschlossene Systeme sind, zum Beispiel die vom Schroedel-Verlag betriebene Quizseite zur Leseförderung Antolin, deren Nutzung für Schulen bislang 169 Euro pro Jahr kostet (ab 1.1.2011 179 Euro), eine Klassenlizenz kostet bislang 35 Euro (ab 1.1.2011 39 Euro). Darüber hinaus gibt es keine Lizenzen für Privatpersonen (z. B. Eltern, die Antolin ihren Kindern zur Verfügung stellen wollen).

Angesichts der Tatsache, dass sich viele Schulbuchverlage im Rahmen digitaler Lernmedien nach wie vor auf plattformabhängige Lernsoftware beschränken, die die entsprechende Software in der Regel nur für Windows-Rechner einsetzbar macht, lässt den „innovativen“ Anspruch erkennen, den Verlage haben, die auf browsergestützte Angebote zu setzen beginnen, wie das bei Antolin der Fall, wie das nun aber auch bei der Übernahme von Lo-Net durch Cornelsen zu beobachten ist.

Zukunft der Bildungsmedien

Es deutet sich also an, dass auch Schulbuchverlage zu der Meinung gelangen, dass die Zukunft der Bildungsmedien in gewissem Rahmen eine digitale sein könnte. Da hier noch so manche Frage im didaktischen und methodischen Kontext offen ist, formuliere ich dies im Konjunktiv, denn die Entwicklung von Positionen zu diesem Thema ist nach wie vor im Fluss.

Dennoch sagen bereits heute manche Bildungsmenschen voraus, dass das Schulbuch vermutlich von E-Books abgelöst werden wird. Dies halte ich für die noch zurückhaltendere Variante, die die Möglichkeiten der medialen Integration in digitalen Lehrwerken möglicherweise zu knapp in den Blick nimmt. Die digitalen Ausgaben mancher Zeitungen für Tablet-PCs zeigen teilweise schon, in welche Richtung eine solche Integration unterschiedlicher Medien gehen kann (Text, Bild, Audio, Video, interaktive Grafiken etc.)

In schulischen Bildungszusamenhängen spielen solche Formen bislang eine eher zu vernachlässigende Rolle, auch wenn der langsame Einzug von interaktiven Whiteboards und die langsam größer werdende Verfügbarkeit von Beamern langsam zu einer solchen Integration hin führt. ((Natürlich werden schon heute unterschiedlichste Medien im Unterricht eingesetzt: Audio im Sprachenunterricht, Lehrfilme, Netzrecherchen etc., hier aber spreche ich von einer Integration dieser Optionen in digitalen Unterrichtsmaterialien / Lehrwerken, was noch einmal etwas ganz anderes ist.))

Diese Entwicklung hat zwar bislang nach außen hin kaum Niederschlag in den Angeboten der Schulbuchverlage gefunden, aber ich bin mir sicher, dass die entsprechenden Redaktionen diese Entwicklungen im Blick haben und überlegen, wie sie ökonomisch erfolgversprechend umgesetzt werden können.

Das Problem des Datenschutzes

Doch so absehbar die Entwicklung hin zu digitalen Formen der Unterstützung des Lernens auch ist, so gibt es dabei auch Probleme. Das schwerwiegendste scheint mir das des Datenschutzes zu sein. Was geschieht z. B. mit all den Daten, die auf einer Plattform wie Lo-Net generiert werden? Wer sich als registrierter Benutzer dieser Tage bei Lo-Net einloggt, soll sich mit der Übertragung der Daten auf den neuen Betreiber einverstanden erklären, kann dieser aber auch widersprechen, was natürlich mit dem Ende der Möglichkeit des Einsatzes der Plattform im Unterricht verbunden ist.

Dabei bleiben zentrale Fragen offen. Z. B. kann ich in der Datenschutzerklärung Lo-Nets keinen Hinweis darauf finden, ob die Daten eigentlich serverseitig verschlüsselt sind, was ich für einen solchen, potentiell datenintensiven Dienst eigentlich voraussetze. Auch die E-Mail-Funktion in Lo-Net arbeitet unverschlüsselt, sodass sich hier kein Mehrwert gegenüber „normaler E-Mail-Adressen“ ergibt, die ohne Verschlüsselungstechnologie wie z. B. PGP oder GNUPG arbeiten.

Zwar heißt es in der Datenschutzerklärung auf Lo-Net in der Fassung vom 17.11.2010:

„In keinem Fall werden personenbezogene Daten der lo-net2 Mitglieder von der Cornelsen Verlag GmbH verkauft oder anderweitig vermarktet“,

was im Vergleich zu der Nutzung personenbezogener Daten z. B. auf Facebook schon einmal ganz gut klingt, aber, zumindest kann ich keinen anders gearteten Hinweis finden, serverseitig scheint keine Verschlüsselung der Daten zu erfolgen, auch wenn die Verbindung eingeloggter Benutzer verschlüsselt ist (https), was so auch nicht jeder Anbieter als Standard ermöglicht, sodass zumindest die Kommunikation mit dem Server „sicher“ ist.

Mit der Übernahme von Lo-Net durch den Cornelsen-Verlag ist also die Notwendigkeit eines Einverständnisses des Datenübertragung an den neuen Anbieter verbunden, was rechtlich betrachtet eine Formalität ist, die aber, angesichts der Tatsache, dass ich ursprünglich meine Daten einem gemeinnützigen Verein gab, dann der Übertragung auf die Lo-Net GmbH zustimmte und diese Daten nun einem der gewichtigen Schulbuchverlag übertragen werden sollen, ein qualitative Sprung ist, der mich nachdenklich stimmt.

Das Problem des Copyrights

In der Regel wird im schulischen Bereich das Copyright vor allem in Bezug auf kommerziell erstellte Inhalte von Schulbuch- und Bildungsmedienanbietern bezogen.

Mit der Übernahme einer Plattform wie Lo-Net durch den Cornelsen-Verlag wird aber auch die Frage des Copyrights der von Lehrenden eigenständig erstellten Materialien relevant.

Gut, ich habe in den Nutzungsbedingungen zu Lo-Net keinen Hinweis gefunden, dass sich der Verlag die kommerzielle Nutzung der von Lehrenden eingestellten Materialien vorbehält, ich habe aber auch keinen Hinweis gefunden, dass das Copyright der erstellen Materialien dezidiert bei den Erstellern bleibt, was aber dann erst einmal die Regel sein dürfte, solange nichts anderes angegeben ist.

Wie aber wird sich dies weiter entwickeln? Es könnte für einen Verlag einen gewissen Reiz haben, Lehrern Raum für Material und auch Materialtausch anzubieten, der dann vom Verlag kommerziell genutzt werden kann. Diese Gefahr sehe ich aktuell bei der Übernahme von Lo-Net nicht, aber kommerziell gedacht ist das sicherlich ein verführerischer Gedanke…

Alternativen und Visionen

In den schon zitierten Forderungen zum Bildungsgipfel der Bundesregierung am 10. Juni 2010 heißt es:

„Effizient werden digitale Lösungen erst mit geeigneten Inhalten und Konzepten, aber die kosten Geld und müssen bezahlt werden.“

Das ist richtig. Im Kontext bedeutet diese Aussage, verbunden mit der Forderung genügend Mittel für Bildungsmedien zur Verfügung zu stellen aber auch, dass hier primär ein berechtigtes Interesse der Schulbuch- und Bildungsmedienanbieter berücksichtigt wird.

Andererseits wird in den nächsten Jahren angesichts der ins Grundgesetz aufgenommenen „Schuldenbremse“ und der Gesamtverschuldung von Bund, Ländern und Kommunen, die Frage der Kosteneffizenz und der Einsparmöglichkeiten im schulischen Bereich mit Sicherheit weiter eine wichtige Rolle spielen.

Doch von den finanziellen Fragen abgesehen, wenn es um Bildung geht, wird immer von Geld gesprochen, stellt sich die Frage, wie effiziente digitale Lösungen mit geeigneten Inhalten und Konzepten eigentlich erstellt werden…

Zu diesem Thema habe ich mir an andere Stelle unter der Überschrift Schulbücher und freie Unterrichtsmaterialien bereits Gedanken gemacht, die ich hier nicht wiederholen will.

Die Frage der Materialienpools zu Unterrichtsthemen, die Frage des Austauschs der von Lehrenden selbst erstellten Unterrichtsentwürfe und Materialien, wird in Kollegien immer mal wieder angesprochen. Ein solcher Austausch findet auch statt, selbst wenn mir immer wieder von Lehrenden berichtet wird, die auf ihren Materialien wie auf einem Schatz sitzen sollen – begegnet ist mir ein solcher Lehrer noch nicht, vielleicht ist das ja nur ein Mythos.

Offene, kostenfrei verfügbare Materialienpools würden den Schulbuchverlagen sicher nicht gefallen, sie würden mit Sicherheit all ihre Lobby-Kraft einsetzen, um dies zu verhindern, aber die Länder als Schulträger könnten durchaus in diesem Bereich viel zur Unterstützung der Lehrenden tun, würden sie Plattformen einrichten, die für Lehrende zu echten Vernetzungsplattformen werden könnten,   ähnlich wie rpi-virtuell oder auch (angesichts sehr reduzierter Austauschmöglichkeiten und eigentlich dringend nötiger, aber nicht vorhandener Qualitätssicherungsmechanismen nur in sehr eingeschränktem Maße vorbildich) 4teachers, was aber wiederum eine eher kommerziell ausgerichtete Plattform zu sein scheint, da von der 4teachers GmbH betrieben.

Gelänge es, solche Plattformen einzurichten, diese mit Qualitätssicherungsmechanismen (Peer-Review etc.) auszustatten und so inhaltlich starke, methodisch und didaktisch angemessen aufbereitete Materialienpools zu entwickeln, so könnte dies die Kosten für effiziente digitale Lösungen mit geeigneten Inhalten und Konzepten vermutlich senken, sehr zum Leidwesen der Schulbuchverlage, die dann sicherlich die Frage des Arbeitsplatzabbaus in den Ring werfen würden.

Angesichts der Entwicklung der Schulen hin zu Konzepten von Bildungsstandards und Kerncurricula, stellt sich sowieso die Frage, wenn die Schulen bezüglich der Hauscurricula wirklich die Freiheit bekommen sollten, die zum Teil angedacht sind, welche Rolle in dieser Hinsicht relativ unflexible Schulbücher spielen können.

Notwendig werden Module, die im Rahmen der Output-Orientierung neuer Vorgaben für schulischen Unterricht genutzt werden können und darüber hinaus eine gewisse Flexibilität erlauben. Es werden also Bildungsmaterialien benötigt, die nicht mehr in einem Buch den Lehrplan eines Schuljahres abzudecken versuchen, weil es solche im klassischen Sinne vermutlich weniger ausgeprägt geben wird als bisher.

Idealerweise würde auf diese Deregulierungstendenz innerhalb eines Bundeslandes mit digitalen Angeboten reagiert, weil diese analogen Angeboten gegenüber weit flexibler ausgestaltet und den jeweiligen Anforderungen angepasst werden können.

Wenn zukünftig die Fachkonferenzen der Schulen für das Hauscurriculum zuständig sind, das die Vorgaben der Bildungsstandards und Kerncurricula umsetzt, ist damit auch die Frage nach Unterrichtsmaterial verbunden. Es könnte passieren, dass hier die Lehrenden nicht nur danach schauen, welche Materialien vorhanden sind, sondern auch selbst stärker in den Austausch geraten, als es sowieso schon häufiger der Fall ist, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Wenn kompetenzorientierter Unterricht zukünftig dazu kommen sollte, dass Wissen durch den handelnden Umgang mit Problemen und mit Hilfe von Referenzmaterialien aufgebaut wird, also wirklich ein Wissensaufbau und nicht nur eine Fähigkeit zum Nachschlagen von Wissen erreicht wird, werden Schulbücher wohl eher Anleitungen zu solchen Arbeitsformen und das dafür notwendige Grundwissen verfügbar machen müssen.  Da in diesem Rahmen aber digitale Arbeitsinstrument nach gegenwärtiger Projektion auf die Zukunft hin, eine wichtige Rolle spielen werden, werden die Schulbücher der Zukunft – der Link verweist auf ein aktuelles Projekt, an dem der Cornelsen-Verlag beteiligt ist und zu den hier geäußersten Vermutungen zur Unternehmenesstrategie zu passen scheint – möglicherweise vor allem Begleitmaterial zu digitalen Bildungsmedien sein, die dann aber weniger mono-mediale Angebote als viel mehr digital mediale Formen integrierende Bildungsmedien sein werden.

Nein, ich will analoge Lerninstrumente nicht aus den Klassenzimmern verbannen, auch wenn vieles dafür spricht, dass es in diese Richtung geht, weil ich Bücher mag und mir deren Einsatz und die mit ihm verbundene haptische Erfahrung am Herzen liegt, aber auch, weil sich der analoge Prozess des Lernens durchaus auch in den eingesetzten Bildungsmedien widerspiegeln sollte.

Schulbuchverlage werden zukünftig mehr Programmierer brauchen, sie werden Plattformen schaffen müssen, in denen modular Bereiche genutzt werden können. Das Geschäftsmodell würde sich dadurch dramatisch ändern, würde man doch nicht mehr nur Content anbieten, sondern diesen Content in ein Lernumfeld stellen müssen. Das können vernetzte Lösungen sein, das können Applikationen für digitale Endgeräte sein, die einerseits geschlossen sind, andererseits aber die Interaktion mit offenen Inhalten im Netz ermöglichen würden, wobei wir wieder bei der Copyrightfrage sind, denn wenn in solche Bildungsmedien dann zum Beispiel frei verfügbare Inhalte im Netz sehr stark integriert werden, dafür aber Lizenzgebühren anfallen, wäre es nur angemessen, wenn diejenigen, die Content bereitstellen, von diesen Lizenzgebühren anteilig entlohnt würden.

Resumee

Bildungsmedien sind, auch wenn in Schulen das Schulbuch noch dominiert, in einem Wandlungsprozess, dessen Ergebnisse noch offen sind. Schulbuchverlage müssen sich aber bereits mit diesem Prozess befassen, wenn sie als Anbieter von Bildungsmedien zukunftsfähig sein wollen.

Gleichzeitig ist offen, ob dieser Wandel nicht zu Lernformen führen wird, die an vielen Punkten auf Wissensbestände zurückgreifen, die in qualitativ hochwertiger Form frei in digitalen Netzwerken verfügbar sind. ((Ich selbst mache mit herrlarbig.de die Erfahrung, dass z. B. Analysen literarischer Texte im Rahmen dieser Website stark nachgefragt sind. Sie stehen kostenlos zu Verfügung (obwohl herrlarbig.de auch für mich mit Kosten jenseits der Freizeit, die ich zum Erstellen der Inhalte nutze, mit sich bringt)). Wie Bildungsmedienanbierter konmerzieller Ausrichtung damit umgehen, wird sich zeigen.

Persönlich bin ich der Überzeugung, dass Bildung eine öffentliche Aufgabe ist, der Zugriff auf Inhalte, die im Bildungsprozess eine Rolle spielen, also möglichst wenigen Einschränkungen unterliegen sollte. In der Wissenschaft weist hier die OpenAccess-Bewegung einen Weg, der mir sehr sympathisch ist. – Ob er zu dem Geschäftsmodell von Schulbuchverlagen passt, wage ich zu bezweifeln.

Dennoch: Vielleicht übernimmt Cornelsen Lo-Net mit dem idealistischen Interesse, dieser Plattform Bestandssicherheit zu geben; vielleicht aber ist diese Übernahme auch ein Zeichen, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden und auf diesem Wege das Know-How-Portfolio des Verlages bereichert wird, wobei ich nicht unterstelle, dass der Zugriff auf die Arbeit von Lehrenden und Lernenden an ca. 6500 Schulen und die damit verbundenen Daten im Vordergrund steht. Diese Übernahme ist ein Indiz, dass nun auch große Verlage ernsthaft die Bedeutung des Internets für Lehr-Lern-Zusammenhänge erkennen und hier Fuß zu fassen versuchen. Man darf gespannt sein, wie sich das in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird.

Es sind aufregende Zeiten, in denen aber das eigentliche Ziel von Bildung nicht aus dem Blick verloren werden darf: Unabhängig von eingesetzten Medien ist nicht derjenige gebildet, der viel kann, sondern derjenige, der das was er tut oder was ihm an Inhalten präsentiert wird, reflektieren kann. Metakognition des eigenen Lernprozesse, und Metareflexion von Inhalten und Zusammenhängen lauten die Schlagworte. Kurz: Ziel von Bildung sind Menschen, die zu eigenständigem, differenziertem, handlungsleitendem, Zusammenhänge erkennendem Denken und Handeln in der Lage sind.

Diese Ziele sind unabhängig von eingesetzten Medien. In der Bildungsmediendiskussion dürfen diese Ziele nicht aus dem Auge verloren werden. Eine Diskussion, die die Form in den Vordergrund stellt, aber Inhalte und Ziele aus dem Blick verliert, wäre der Verantwortung aller, die Bildungsprozesse verantwortlich initiieren und begleiten, unangemessen.