Über Bücher aus Papier und EBooks aus digitalen Zeichen – Vermarktung und Infrastruktur

Bücher aus Papier sind in sich geschlossene, analoge Einheiten. Der Datenträger Papier wird einmal bedruckt und dann kann, genügend Licht vorausgesetzt, der Text unbegrenzt häufig gelesen werden, es können Anstreichungen hinzugefügt, Anmerkungen notiert werden. Den Datenträger kann man als Ganzheit weitergeben, also auch verleihen oder verschenken. Die Lesespuren bleiben dabei erhalten. Die Haltbarkeit des Datenträgers – und somit der mit ihm fest verbundenen Information – beläuft sich auf einige Jahrzehnte bei schlechter Papierqualität bis hin zu mehreren Jahrhunderten bei guter Papierqualität, das Papier nicht zerstörender Tinte und trockener sowie lichtgeschützter Lagerung.

EBooks bestehen aus digitalen Zeichen in elektrischer Form, die als reine Datenpakete zunächst einmal nicht gelesen werden können. Anders als Bücher aus Papier werden EBooks ohne einen Datenträger ausgeliefert, an den das jeweilige „Exemplar“ gebunden wäre. Als Datenträger und Übersetzer in lesbare Schrift bedarf es entsprechender Programme, die entweder als Einzelprogramme vorliegen, die dann als App zum Beispiel auf einem Tablet oder dem Smartphone das Lesen erlauben, oder als eine Koppelung von Hard- und Software in Form eines speziell zum Lesen dieser Bücher gedachten EBook-Lesegerätes (EBook-Readers).

Das EBook kann aufgrund seiner „Körperlosigkeit“ in Form von Datenpaketen über das Internet verschickt werden; das Buch aus Papier hingegen kann aufgrund seiner Kohlenstofflichkeit nur in Form von Postpaketen über das Versandnetz der Paketdienste beim Empfänger ankommen.

Zwar ist auch das Kopieren von Büchern aus Papier möglich, aber relativ aufwändig, wohingegen das Kopieren digitaler Daten ein leichtes Unterfangen ist. Die Erstellung eines Duplikates entsprechender Datenpakete dauert wenige Sekunden.

Nimmt man nun das Konzept des Buches aus Papier und überträgt es auf das EBook, so muss man versuchen, das einzelne Datenpaket, das einem Buch entspricht, zu „personalisieren“, man muss also verhindern, dass es kopiert wird oder dafür sorgen, dass kopierte Fassungen, insofern sie rechtswidrig verbreitet werden, so identifizierbar sind, dass sie auf die Quelle der Verbreitung hin zurückführbar sind. Das Kopieren verhindert man mit Kopierschutzmechanismen, die auch als DRM (DigitalesRechteManagement – DigitalRightsManagement) bezeichnet werden. Die rechtswidrige Weitergabe von EBooks ohne die Nutzung des Buches einschränkendes DRM verhindert man durch Personalisierung mittels eines fest mit einem „Exemplar“ verbundenen Wasserzeichens, das den ursprünglichen Käufer identifizierbar macht.

Genau genommen haben wir bei Büchern aus Papier und EBooks also unterschiedliche Medien im Sinne von Vermittlungsinstanzen vorliegen, mittels derer die Inhalte (Buchstabenkombinationen in Form von Wörtern, Sätzen, Kapiteln und darüber hinaus noch Bilder und Grafiken) vom Empfänger entschlüsselt (gelesen) werden können.

Nach wie vor aber werden beide Vermittlungsformen als „Buch“ angesehen. Das EBook soll wie ein Buch sein, ja, eigentlich vor allem ein neuer Vertriebsweg für „Bücher“; doch wer das EBook nur als digitale Form des Buches aus Papier ansieht, verkennt, dass es sich um eine neue mediale Form mit eigenen Ansprüchen, Möglichkeiten und Grenzen handelt.

An dieser Stelle hier geht es nicht um die rechtlichen Fragen, die mit EBooks im Rahmen des Urheberrechts verbunden sind, sondern um die strukturelle Differenz der medialen Formen, in denen Inhalte zur Rezeption bereitgestellt werden und den Folgen, die diese strukturelle Differenz mit sich bringt. Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ergänzungen und von mir außer Acht gelassene Blickwinkel können diesem Beitrag gerne als Kommentar ergänzend zur Seite gestellt werden.

Ein Buch aus Papier ist ein Gesamtpaket, das immer im Gesamtzusammenhang zur Hand genommen werden muss, um gelesen zu werden. Entsprechend benötigen Sammlungen von Büchern (Bibliotheken) viel Platz. Die Bücherwand, das Bücherregal sind die Speicher für eine große Zahl dieser Datenpakete in analoger Form. Will ich ein Buch an zwei Orten haben, z. B. zuhause und am Arbeitsplatz, ohne das Buch ständig mit mir tragen zu müssen, muss ich zwei Bücher kaufen, muss ich den Datenträger und die auf ihm aufgetragenen Informationen materiell zwei Mal erwerben. Notizen sind fest mit dem gleichen Datenträger verbunden wie der Inhalt des Buches, insofern ich nicht ein eigenes Ablagesystem für Lesenotizen (Exzerpte) führe.

Ein EBook hingegen ist nur eine Hälfte des Zusammenhanges der nötig ist, um es lesen zu können. Dieser eine Teil wird mir vom EBook-Anbieter geliefert. Auf welchem Endgerät ich den Inhalt des Buchs nun aber lesen will, ist in gewissem Rahmen weitaus flexibler als beim Buch aus Papier. Klar, ich bin an EReader gebunden, die zum gewählten Formt des EBooks passen, aber ob nun mittels EReader oder einer App auf dem Tablet oder dem Smartphone oder dem Laptop gelesen wird, ist dem Leser überlassen. Ebenso können Textgrößen verändert werden, ich kann die Schrift bestimmen, in der die Inhalte wiedergegeben werden, ich kann Notizen z. B. über die Tastatur eines berührungsempflndlichen Bildschirms hinzufügen, bei manchen EReadern geht das sogar handschriftlich auf dem Bildschirm.

Es ist gar nicht so selten, dass ein und dieselbe Person ein Buch auf unterschiedlichen Geräten liest! So waren bis vor kurzem z. B. alle EBook-Reader ohne Licht und somit bei Dunkelheit zum Lesen ähnlich ungeeignet wie Bücher aus Papier. In diesen Situationen greift man dann auch schon mal z. B. zum Smartphone, um auf dem hintergrundbeleuchteten Display weiterlesen zu können. Ähnliches gilt für Tablets. Wenn ich nun aber auf dem EBook-Reader und auf dem Smartphone Anstreichungen vornehme, sind diese auf zwei Datenträgern, ungefähr so, wie wenn ich zwei Bücher aus Papier habe, in die ich Anmerkungen eintrage: Eine Zusammenführung der Anmerkungen ist dann nur möglich, wenn ich die Anmerkungen aus einem Exemplar in das andere übertrage.

Als Leser eines digitalen Buchs, das ich auch im Rahmen des DRM auf unterschiedlichen Endgeräten lesen kann und darf, erwarte ich, dass es möglich ist, die Notizen tatsächlich wie in einem Buch anbringen zu können; ich erwarte, dass eine Synchronisierung der Notizen und Anstreichungen möglich ist.

Und somit sind wir bei meinen Kernthesen dieses Beitrages angekommen, die da lauten:

  • Wer EBooks verkauft, kann diese nicht nur wie Bücher aus Papier verkaufen. Mit der Form des EBooks muss eine Infrastruktur verbunden werden, die es dem Leser oder der Leserin möglich macht, die Leseoptionen digitaler Medien zu nutzen. Neben Synchronisierung von Notizen und Leseposition können diese Formen der Infrastruktur auch Leser miteinander in Kontakt bringen, einen Austausch über die Texte ermöglichen etc.
  • Für Bücher aus Papier braucht man Buchhandlungen und Paketdienste und die damit verbundene Logistik, die vor allem dem Buchhandel dient; für EBooks braucht man Plattformen, auf denen Bücher verkauft werden, das Internet und die damit verbundene Logistik und Infrastruktur, die vor allem den Lesern dienen.
  • Musste es den Verlagen und Barsortimentern bislang vor allem auf eine gute Infrastruktur für den stationären Buchhändler ankommen, steht im EBook-Sektor vor allem der Service für den Nutzer der digital verfügbaren Inhalte im Rahmen der je verwendeten EBook-Lesegeräte oder -Leseprogramme auf unterschiedlichen Plattformen im Vordergrund.

Der Buchhandel in Deutschland stellt eine solche Infrastruktur bislang nicht zur Verfügung. Viele Hersteller von EBook-Readern verzichten auf eine mit ihren Geräten verbundene Infrastruktur, die die Leser unterstützt.

Die Anbieter, die solche Infrastruktur bereits verfügbar machen, stammen aus Nordamerika: Amazon, Nook Kobo ((ich hatte auf der kürzlich vorbeigegangenen Buchmesse diese Reader alle in der Hand, sodass hier fälschlicherweise Nook reingerutscht ist, die eben bislang nicht in Europa aktiv sind. Das ist natürlich Kobo)), Apple heißen die drei Anbieter auf dem deutschen Markt. Darüber hinaus versuchen Buchhandelsketten wie Thalia, Hugendubel und Weltbild zumindest schon mal ihre eigenen Online-Shops mit entsprechenden Lesegeräten fest zu koppeln, im Rahmen einer komplexen Infrastruktur für den EBook-Leser fallen diese Anbieter aber auch nicht besonders auf. Gleiches gilt für die vom Börsenverein des deutschen Buchhandels ins Leben gerufene Plattform Libreka und anderer Anbieter, die aus den großen Barsortimentern hervorgegangen sind.

Freilich, mögen Amazon, Nook und Apple auch das Leseerlebnis in den Vordergrund stellen, wie überhaupt in der angelsächsischen Verkaufsstrategie die Erfahrung des Kunden beim Einkauf stärker im Zentrum steht als z. B. in Deutschland, so gibt es an den von diesen Anbietern angebotenen Infrastrukturen reichlich Kritik zu üben. Abgesehen von Nook, deren Lesegeräte zwar an einen Anbieter gebunden sind, aber auch EBooks akzeptieren, die im ePub Format inkl. DRM bei anderen Händlern erworben wurden, verschieben Amazon und Apple die Grenzen der Kompatibilität nur von den Lesegeräten hin zum Anbieter und dessen proprietären Infrastruktur. Ja, vor allem Amazon hat eine großartige Infrastruktur für das EBook und der Arbeit mit ihm entwickelt, fordert aber, wie andere Anbieter auch, die technisch bedingte Bindung des Kunden an das eigene Unternehmen.

Was fehlt – und hier wäre eigentlich die große Chance z. B. für alle am deutschen Buchmarkt beteiligten und im Börsenverein des deutschen Buchhandels organisierten Marktteilnehmer – ist eine EBook-Infrastruktur, die offen ist, die über einen einzelnen Anbieter hinaus angeboten wird und die den Wettbewerb der Anbieter im Rahmen einer gemeinsamen Infrastruktur möglich macht. Es fehlen Standards der Synchronisierung von Anstreichungen und Notizen, die die Nutzung unterschiedlicher Lesegeräte unterschiedlicher Anbieter möglich machen. Idealerweise würde es sich dabei um Lösungen handeln, die einerseits zentral angeboten werden, die aber zum Beispiel, weil frei verfügbar, auch auf dem eigenen Server eines Lesers laufen könnten, der so seine digitale Bibliothek verwalten könnte.

Wir brauchen, analog zum Bücherregal, dem es egal ist, von welchem Verlag ein Buch stammt und in welcher Buchhandlung ich ein Buch gekauft habe, digitale Bücherregale, die dann aber EBook-Infrastrukturen sein müssen, die das Lesen von Büchern und die Anfertigung von Anstreichungen und Notizen komfortabel machen. Häufig wird in diesem Zusammenhang die Buchverwaltungssoftware „Calibre“ genannt. Doch funktioniert z. B. das Synchronisieren von Notizen auf unterschiedlichen EReadern mit Calibre nicht. Außerdem ist das Programm bislang nicht mit entsprechenden Clouddiensten gekoppelt. Ich denke hier tatsächlich an Angebote in der Cloud, ob nun bei einem Anbieter oder auf dem eigenen Server.

Innovativ wäre es, wenn es gelänge, neben geschlossene Systeme der EBook-Infrastrukturen ein offenes oder zumindest offeneres System zu stellen. Es bringt nichts, es Amazon nachmachen zu wollen, denn Amazon ist z. B. deutschen EBook-Anbietern um Jahre voraus; eine offene Alternative zu Amazon wäre aber wirklich ein Argument zum deutschen Buchhandel zurück zu kehren oder diesem bei weiterer Verbreitung des EBooks treu zu bleiben. Bislang aber sei folgende Bemerkung erlaubt: Dass Amazons Kindle der wohl erfolgreichste EBook-Reader auf dem deutschen Markt ist, hat durchaus mit der Qualität des Angebots zu tun.

Bücher aus Papier werden in einem gewissen Rahmen ebenso weiter existieren, wie es Schallplatten aus Vinyl tun. EBooks aber bringen, mögen die Inhalte auch gleich sein, neue Möglichkeiten im Umgang mit den Inhalten, die eine eigene Infrastruktur erfordern.

Als der Buchdruck aufkam, entwickelte sich übrigens auch eine ganz neue Infrastruktur; der Buchhandel entstand, wie wir ihn auch heute noch kennen. Vor der Erfindung des Buchdrucks gab es eine andere Infrastruktur, die der handschriftlichen Erstellung und Verbreitung von Büchern entsprach. Es ist also nichts neues, wenn mit einem Leitmedienwechsel, wenn mit einer technischen Entwicklung auch neue Infrastrukturen entstehen. – Wer sich diesem Strukturwandel entzieht, oder meint, das Überkommene weiter als einzig denkbare Möglichkeit verteidigen zu müssen, könnte am Ende das Nachsehen haben.