Ach, diese Kostenloskultur (!). Reflexionen nach einem Bloggertreffen.

Das schlechte Gewissen dringt in alle Sphären meiner Präsenz im Internet. Überall an seinen Rändern sitzen jene „digitalen Bettler“ und winseln um kommerzielle Beachtung, reden von dem Geld, das sie so gerne im Netz verdienten. Und ich gehöre zu denen, die Schuld sein sollen, dass dieses Geld nicht verdient werden kann.

„Nein! Dein Blog ist viel zu klein und unbedeutend, als dass du jemanden in eine existentielle Krise materieller, ja vor allem finanzieller Art treiben könntest“, sagt da ein kleines, ganz in weiß gekleidetes Wesen neben meinem einen Ohr.

„Quatsch“, ruft es an meinem anderen Ohr – ich sehe erst gar nicht, wo die Stimme her kommt, bis ich ein chamäleonartiges Etwas auf meiner anderen Schulter sitzen sehe, von dem ich vermute, dass es in der Lage ist, sich erfolgreich an die Farbe meines Hemdes anzupassen, sodass ich es kaum einmal wirklich wahrnehme, wenn es mir etwas einflüstert. „Quatsch, das hier ist ein Blog, es hat Inhalte und ist Teil dieser verdammten Kostenloskultur im Netz.“

Wütend faucht dieses chamäleonhafte Etwas, jegliche Zurückhaltung verlierend, meinen netten, kleinen, weißen Begleiter an. „Die Menge macht es, mein kleiner Freund, die Menge. – Hier ein Blog, da ein Blöglein – und schon ist der ganze Markt kaputt. Jeder kann heute von jeder Veranstaltung twittern, bloggen; viele machen, ob erlaubt oder nicht, Fotos und Videos! Alle Informationen findet man im Netz, keiner will länger was für sie zahlen.“ – Sollen sich die beiden bitte woanders streiten, denke ich mir, gehe auf die Straße vor’s Haus, wische mit meinen Händen über meine Schultern und sehe noch, wie die beiden sich ineinander verkeilen und kollektiv in den Gulli-Deckel fallen.

So sehr ich mit dem Abschütteln dieser beiden auch mein schlechtes Gewissen abgeschüttelt haben mag – so sicher ist das nicht –, so wenig bleiben mir reale Begegnungen erspart, in denen dieser Konflikt zwischen Leuten, die im Netz mit Inhalten Geld verdienen wollen und denen mit anderen Ansprüchen aufflammt. Meist wird er dann schnell auf Sparflamme gedreht, aber vorhanden ist er.

Auf einem Bloggertreffen, zu dem die Frankfurter Kunsthalle Schirn geladen hatte (meine Zusammenfassung gibt es hier), begann ein Blogger von seinem Blog zu erzählen. Doch er kam nur soweit, dass er erwähnen konnte, dass er als Blogger mit seinem Blog ja kein Geld verdienen wolle, als eine Stimme durch den Raum drang, die masssiv darauf hinwies, dass es aber durchaus Blogger gebe, die mit Blogs Geld verdienen wollten und dass man doch nicht immer betonen solle, dass man mit Blogs ja kein Geld verdienen wolle, denn das stimme ja gar nicht für alle Blogger.

Es war ein leidenschaftlicher Ausbruch, was ich daraus ableite, dass da jemand einen anderen nicht ausreden ließ, ins Wort fiel, also alles tat, um einen vergnüglichen Nachmittag vermuten zu lassen. (Also, ich mag es, wenn es leidenschatlich authentisch wird, das ist nicht jedermenschs Sache, aber, solange es wirklich um eine Sache geht…)

Nach diesem kurzen Aufflammen ging es sachlicher weiter, aber subtil wurde das Thema schon noch aufgegriffen, wenn zum Beispiel recht offen gesagt wurde, dass es bei Blogs doch durchaus eine Rolle spiele, ob der Blogger oder die Bloggerin denn Kompetenz nachweisen könne. Damit war ein formaler Nachweis gemeint. So wurde gesagt, es mache einen Unterschied, ob ein Kunsthistoriker über Kunst blogge oder ein „einfacher Museumsbesucher“, ohne dass die Frage nach der Qualität der Inhalte gestellt wurde. Wie diese Qualität verteilt sei, wurde einfach (vermutlich nicht mal in allen Fällen zu unrecht) angenommen, vorausgesetzt, unterstellt.

Es wurde in diesem Zusammenhang von „Fallhöhe“ gesprochen. Was dieser Begriff aus dem Wasserbau bzw. der Dramentheorie auf einem Bloggertreffen zu suchen hat? Nunja, es haben anscheinend alle verstanden, was gemeint war. Dieses Thema taucht ja immer wieder auf. Es geht um „Qualitätssicherung“ (an der Oberfläche), um Standesbewusstsein geht es aber auch.

Und dieses „Standesbewusstsein“ mag auch bei (kommerziell interessierten) Bloggern eine Rolle spielen, die ihre Möglichkeiten dadurch eingeschränkt sehen, dass es andere gibt, die über ähnliche Themen bloggen und damit keine kommerziellen Interessen verfolgen, ja diese nicht einmal verfolgen wollen, ja sogar ausdrücklich betonen, dass das nicht ihr Ziel sei (ohne auszuschließen, dass sich Dinge, die nicht geplant sind, dennoch ergeben können).

Interessanterweise habe ich nie umgekehrte Vorwürfe von Bloggern, die „einfach so“ bloggen, gehört, wenn da Leute über ihre Themen Blogs betrieben und damit Geld verdienen wollten. Die Beschwerden kommen immer von denen, die gerne Geld im Netz verdienen würden, damit aber ein Problem haben. – Von dieser Erkenntnis ist es nicht weit zum Aufschrei, dass das Netz – mit seinen Kopiermöglichkeiten, seiner „grundsätzlich kriminellen“ Struktur und vor allem mit seiner von vielen Seiten für selbstverständlich erachteten, ja, sogar gepflegten Kostenloskultur – an den je eigenen Problemen schuld sei, aufgrund derer man kein Geld im Netz verdienen könne.

Aha.

Machen wir es „kurz“:

Ich gebe durchaus Geld im Netz aus. Aber nicht bei jedem. Und interessanterweise sind oft die am lautesten, wenn es um Forderungen nach Restriktionen in Bezug auf die Öffentlichkeit im Netz geht, die eher wenig Fantasie haben, wie man finanzielle Interessen im Netz trotz und sogar mit der „Kostenloskultur“ befriedigen kann. – Oft sind es Vertreter medialer Strukturen, die bereits seit langer Zeit existieren und dem Internet und den digitalen Medien eher fremdelnd gegenüber stehen oder aber Leute, die diese „alten“ Strukturen zum Vorbild ihres eigenen Bloggens nehmen wollen, ohne zu merken, dass ein Blog was anderes ist, als die Möglichkeit für jedermensch eine Zeitung oder ein Magazin kommerziell erfolgreich online zu stellen.

Wenn im Sinne kommerzieller Interessen nach Einschränkungen im Netz gerufen wird, dann ist das diese alte Wegezoll-Mentalität: Willst du den Weg zum Wissen gehen, dann zahle dafür. – Nun, Wikipedia hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, auf Spendenbasis Gemeinschaftsprojekte hoher Qualität zu erzeugen und über Jahre zu erhalten. Im Netz gibt es allenthalben Zeugnisse der „Kostenloskultur“, die wahrlich kulturelle Bereicherungen sind!

Mag mancher Vertreter aus Politik, Wirtschaft und der „Ich will mit dem Blog aber endlich Geld verdienen“-Fraktion den Begriff „Kostenloskultur“ auch noch so verächtlich betonen: Ich nehme diesen Begriff ernst: Es geht um eine Kultur des freien Wortes, des freien Denkens, der frei zugänglichen Inhalte.

Diese Kultur sieht sich nicht in Konkurrenz zu irgend einem wirtschaftlichen Ansinnen, fordert aber von kommerziellen Angeboten im Netz eine gewisse Fantasie, wie ein geldwerter Mehrwert entstehen kann, für den Menschen im Netz zu zahlen bereit sind.

Schade, wenn sich diese Fantasie nur in Bezahlschranken für Zeitungswebsites, massive Hürden für die Nutzung von Inhalten, die in Zeitungsapps gekauft werden, immer neuen DRM-Praktiken etc. auslebt und somit alte Formen der Zugangsbeschränkung, mit der man lange Geld verdienen konnte, auf das Netz zu übertragen versucht.

Keine Frage, für ein Blog wie dieses hier stellt sich die Frage der Kommerzialisierung nicht. Dafür ist es zu klein. Und Werbung, die ich über unterschiedliche Anbieter hier einbauen könnte, Partnerprogramme, die mich zahlen würden, wenn ich auf sie verlinkte und daraus ein Verkauf entspränge, nutze ich auch nicht.

Ich gönne mir den Luxus, mir ein (qualitativ hoffentlich häufig hochwertiges) Blog als Hobby, als Freizeittätigkeit leisten zu wollen und leisten zu können.

Ich sehe mich als Ehrenamtler, nicht als „Schmarotzer“, der verhindert, dass andere mit ihren Blogs Geld verdienen können.

Das heißt nicht, dass ich nicht auch die so oft bei Bloggertreffen angesprochene „Bloggerseele“ hätte, die ziemlich pienzig reagiert, wenn die eigenen (möglicherweise doch vorhandenen und bereichernden) Leistungen nicht anerkannt werden, wenn Beiträge, die nicht unter CC stehen, geklaut werden etc. Aber lustig finde ich andererseits, wie sich Leute darüber lauthals mockieren, wenn man nur mal im Nebensatz erwähnt (siehe oben), dass man mit der Bloggerei keine finanziellen Interessen verfolge.

Zunehmend bekomme ich den Verdacht, dass diese Blogger nicht bloggen, weil sie bloggen wollen (und vielleicht sogar was zu sagen haben, was auf diesem Wege einfach raus will), sondern verzweifelt nach einer Geschäftsidee suchen, die sie mit einem Blog verbinden könnten. Entsprechend viele „Berater“ tummeln sich dann auch im Netz, die versprechen, sie wüssten, wie ein Blog ein kommerzieller Erfolg werden könne. – Das geht durchaus, wenn die Leidenschaft für eine Sache da ist. Es gibt kommerziell erfolgreiche Blogs, betrieben von Bloggern, die sich kreativ ihren „Job“ selbst geschaffen haben, der in der Regel über das Bloggen eben weit hinaus geht.

Auf der anderen Seite stehen die PR-Abteilungen von Unternehmen und Institutionen, deren klügere längst dahinter gekommen sind, dass der „Ich blogge, weil ich Spaß dran habe“-Blogger Teil einer neuen Öffentlichkeit ist, die durchaus in ähnlichem Rahmen zu sehen ist, wie früher recht exklusiv die Presse – mit ähnlicher Bandbreite, die von Boulevard- bis Qualitätsbloggern reicht.

Entsprechend verändern einige Institutionen ihre Strategie und behandeln z. B. Blogger, die in ihrem Blog Themenbezüge zeigen, wie ehedem alleine Journalisten. Statt des exklusiven Presseausweises wird heute alternativ der Link zur Website / zum Blog als Nachweis verlangt und in einigen Fällen anerkannt. – Oder man lädt Blogger, die einem aufgefallen sind, einfach ein, wie es gerade die Frankfurter Schirn getan hat, die daneben aber auch die Möglichkeit der eigenständigen Anmeldung zum Bloggertreffen gegeben hatte.

Es gibt mittlerweile sogar schon ganze Strategien, wie mit der durch Blogger entstandenen Öffentlichkeit umzugehen sei (Blogger-Relations), wie Institutionen oder Unternehmen strategisch an Blogger heran kommen etc. – Diese Strategien sind allerdings heikel, weil es doch einige Blogger gibt, die auf Vereinnahmungsversuche höchst sensibel reagieren. – Und jedes Blog, egal ob kommerziell oder nicht kommerziell, kann heute potentiell eine PR-Krise auslösen, wenn es an entsprechende Informationen kommt oder über zu intensive Vereinnahmungs- und Anbiederungsversuche berichtet.

Umgekehrt kann ein selbstverständlicher Umgang mit Bloggern auch eine Erweiterung der Reichweite von Institutionen und Unternehmen zur Folge haben. Das passiert aber meist nur dann, wenn soziale Medien nicht primär der Verteilung (Distribution) von Links auf Pressemitteilungen oder ähnlichem dienen, sondern eine Institution mit möglichst konkret identifzierbaren Bloggern / Twitterern arbeitet, die dialogisch in sozialen Netzen präsent sind. – Kurz: Eine Institution, die bloggt, um Reichweite zu bekommen wird scheitern; eine die bloggt, weil sie im Blog und in anderen sozialen Netzwerken kommunikativ offen sein will, weil sie diese Offenheit als echten, zu praktizierenden Wert sieht, hat gute Chancen, positiv wahrgenommen zu werden.

Wer kommerziell ins Netz will, braucht Phantasie, Ideale, hohe Kompetenz im Bereich seines Angebotes.

Wer kommerziell ins Netz will, sollte sein finanzielles Streben nie mit Abwehrreaktionen gegen die vorhandene Netzrealität im Bereich nicht-kommerzieller Angebote zu ermöglichen versuchen.

„Hobby“-Blogger sind Ehrenamtler. Sie pflegen eine Kultur der nicht kommerziellen Öffentlichkeit (in all ihren Facetten), die eine offene, demokratische Gesellschaft braucht. Sie sind ein relevanter Teil der Öffentlichkeit und in diesem Rahmen, wie in analogen Kontexten Menschen bei der Freiwilligen Feuerwehr, der Bahnhofsmission oder wo sonst Freiwillige zum Einsatz kommen, gegebenenfalls relevanter, als es Menschen mit – und das ist nicht despektierlich herabsetzend, sondern wirklich nur beschreibend gemeint – weniger öffentlichen Hobbys sind.

Mit dem Internet im allgemeinen und mit Blogs im besonderen, hat sich die Öffentlichkeit verändert. Der Marktplatz, der Areopag, das Forum haben ihren Platz ins Netz verlegt und damit ihren Platz in einer Welt gefunden, die mittels moderner Technologien zum „Dorf“, zum „global village“ (McLuhan) geworden ist. – Und damit dürfen / sollen / müssen wir nun alle irgendwie umzugehen lernen.