Die Romantisierung der Welt: #Instagram und die Folgen

Dieses Bild habe ich am Montag, dem 24.7.2017, während einer Wanderung im Mönchbruch bei Frankfurt am Main aufgenommen und auf Instagram gepostet:

Für meine Verhältnisse wurde es relativ schnell recht häufig von Nutzern und Nutzerinnen des Dienstes als ein Bild gekennzeichnet, das gefällt. In einem Kommentar werden die als toll empfundenen Farben gelobt. Vielleicht ist es die Weite der Landschaft, die Symphatien hervorruft, oder die Platzierung der beiden Bäume relativ weit rechts im Bild; es könnte auch daran liegen, dass schnell zu erkennen ist, dass die Wiese eher untypisch ist – und in der Tat handelt es sich um einen besonders schützenswerten Wiesentyp.

Das Bild zeigt also einen Ausschnitt der Welt, der zu einem Naturschutzgebiet gehört. Alles passt. Und erzähle ich noch, dass ich in bislang kaum einem Schutzgebiet an einem Nachmittag so viele Rehfamilien friedlich auf Feldern äsen gesehen habe und Füchse, die (erfolglos) versuchten, Vögel zu jagen, bekommt man vielleicht noch stärker den Eindruck, ich hätte einen wunderbaren Ort gefunden. Und das stimmt ja auch. Es ist kein Zufall, dass diese Fläche und die zu ihr gehörenden Wälder, in denen unter anderem Stieleichen wachsen, unter Naturschutz gestellt wurden.

Das Bild macht also durchaus einen Aspekt der Wirklichkeit dieser Landschaft sichtbar.

Was man nicht sieht: Ca. alle 30 bis 60 Sekunden wird das Gelände von einem Flugzeug tief überflogen, das soeben von der genau an das Naturschutzgebiet angrenzenden Startbahn West des Frankfurter Flughafens gestartet ist. Man ist also, manchmal gibt es auch ein paar Minuten ohne Start, die ganze Zeit mit den startenden Flugzeugen und deren Lärm konfrontiert. Gut, nun haben startende Flugzeuge durchaus auch das Zeug dazu, die romantische Sehnsucht nach fernen Ländern zu wecken, aber der Lärmteppich holt einen dann schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Bliebe ich alleine auf diesem Boden der Tatsachen, würde ich vermutlich zügig in ein Jammern verfallen, wie man so eine schöne Landschaft so sehr mit Lärm verschandeln kann. Ich würde mich aufregen und die dennoch vorhandene Schönheit des Naturschutzgebietes kaum noch wahrnehmen können.

So intensiv wie an dieser Stelle, ich bin direkt zum Zaun des Flughafens gewandert, habe ich die Gleichzeitigkeit und den Spannungsreichtum menschlicher Technik und sich (in weiten Teilen) selbst überlassener Natur bislang kaum je erlebt.

Das Bild, das auf Instagram recht häufig gemocht wurde, erscheint nun plötzlich vielleicht als Irreführung. Wenn nun jemand aufgrund des Bildes in den Mönchbruch zwischen Rüsselsheim und Mörfelden-Walldorf führe, um dort wandern zu gehen, ohne sich meine Aufzeichnung der Wanderung genau anzusehen, der rechnete nicht damit, dass ein Flugzeug nach dem anderen zu sehen und zu hören ist.

Mir kam der Gedanken, dass hier viele Tiere leben, weil sie von den Menschen – und ich meine jetzt nicht diese dröhnenden »Vögel«, sondern Menschen vor Ort – vielleicht weniger gestört werden, als an anderen Plätzen. Denn Menschen meiden einen Ort ja eher, der mit dem Begriff »Fluglärm« verbunden ist. Und in dem Moment wurde mir klar, dass es vielleicht gar nicht so einfach ist, die Gegebenheiten zu beurteilen, die ich da im Mönchbruch vorgefunden habe, denn hier entsteht eine für mich faszinierende Spannung zwischen dem Menschen als Techniker, dem Homo Faber, und dem Menschen als meditativ sich in eine Landschaft hineinfühlendes Wesen, dem Romantiker, der immer damit rechnet, dass dort, wo »Unklarheiten« herrschen »Klarheiten« verborgen sein können; bildlich gesprochen, dass sich in der Dämmerung, im Nebel, beim Betrachten der Sterne, beim Mondenschein oder der eben auch der von Flugzeugen überflogenen Landschaft eines Naturschutzgebietes die Diversität dessen, was das Leben ausmacht, zeigen kann.

Das Ausgangsfoto dieses Beitrages betont diese romantische Seite der Wahrnehmung. Ich habe eine Landschaft, die in Wirklichkeit allerdings auch wieder eine Kulturlandschaft ist, wahrgenommen, die mir beim Durchwandern und Betrachten etwas gegeben hat, das in Worte nicht wirklich gefasst werden kann, das aber etwas »Erhabenes« für mich an sich hatte. Gleichzeitig wurde ich in dieser Landschaft mit den Erfolgen aufgeklärter Technologie konfrontiert, die dem Menschen die Verwirklichung des Traums vom Fliegen geschenkt hat, wenn auch unter anderem um den Preis des Lärms beim Starten und Landen der Flugzeuge.

Vielleicht ging es den Romantikern in ihrer Auseinandersetzung mit der Aufklärung, der sie von heute betrachtet womöglich weniger entgegen arbeiteten, als sie selbst es mindestens in Teilen wahrgenommen haben mögen, ähnlich: Sie brachten die Entwicklung des aufgeklärten Denkens und die damit verbundenen Entzauberung der Welt nicht so einfach zusammen mit dem Zauber der Welt, den sie im Mythos, in der Religion, in längst vergangenen Zeiten des Mittelalters wahrnahmen. Und sie wollten den Blick für diesen Zauber offenhalten.

In diesem Sinne erlebte ich diese Landschaft nahe Frankfurt, aber es ging mir auch durch den Sinn, dass ich all die vielen im Internet in unterschiedlichen Kontexten, von denen Instagram nur der bekannteste ist, veröffentlichten Fotografien oft genau so lese: Mit der Wahl des Bildausschnitts und den verfügbaren Mitteln zur Bildbearbeitung bzw. zur Gestaltung mit Filtern bringen viele dort ihren Blick auf die Welt (und auf sich selbst im Selfie) zum Ausdruck, der idealisiert ist, der einen Teil der Welt sichtbar machen will, der hinter der Welt steht, die man da gerade fotografiert. Kaum ein Sonnenuntergang ist so farbenfroh, wie man ihn auf Instagram zeigt; kaum eine Sommerlandschaft mit so warmen Tonwerten überschüttet, wie auf Instagram zu sehen.

Wir sind Romantiker, aber vielleicht solche, die in der Lage sind, das aufgeklärte Denken und dessen Folgen mit dem romantischen Blick auf die Welt zu verbinden, wobei wir gerade den romantischen Blick des Wiederverzauberns der Welt brauchen, um Wege finden zu können, die der zerstörerischen Kraft des Homo Fabers gegenüber der Welt Einhalt gebieten können. Wir brauchen den Blick, der das Geheimnis in nahezu allem, das uns begegnet, wieder sucht und mittels Darstellungen auch für Dritte als Geheimnis erfahrbar werden lässt. Wenn wir heute fotografieren, Bilder verbessern und mittels Filtern Motive intensivieren, dann ist das eine Möglichkeit zur Schulung dieses Blicks des Romantikers. Was steckt nicht alles in den Bildern und deren Wirkung, was auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Es ist zwar nach wie vor der Fotograf, der die guten Bilder macht, aber zum Schluss ist es ein Algorithmus, der eingesetzt wird, um die Bilder für deren Betrachter zu öffnen, sodass diese über das Bild zu dem gelangen können, was hinter dem Bild stecken könnte. Und so »leben« hier die Rationalität eines Algorithmus und die Sehnsucht des romantischen Menschen friedlich nebeneinander.